Wann liegt ein ärztlicher Therapiefehler vor?
Von einem Therapiefehler spricht man, wenn die gewählte ärztliche Diagnostik- oder Therapiemethode schon in ihrer Wahl fehlerhaft ist oder in denen getroffene Behandlungsmaßnahmen oder deren Unterlassung gegen anerkannte und gesicherte medizinische Standards verstoßen.
Bei der Wahl der Therapie oder der Diagnostik besitzt der Arzt ein weites Beurteilungsermessen. Allerdings muss die gewählte Therapie dem Stand der aktuell zur Behandlung geltenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und fachärztlichen Erfahrungen entsprechen.
Unterschreitet er diesen „fachärztlichen Standard“ ist dies behandlungsfehlerhaft und führt zur Haftung des Arztes für die dadurch eingetretenen Gesundheitsschäden des Patienten.
Diese Beispiele anerkannter Therapiefehler rechtfertigen Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler
Beispielsfälle für von der Rechtsprechung anerkannte Therapiefehler, die zur Haftung des Arztes und zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz führten, sind:
Ein zwar nach dem äußeren Erscheinungsbild gesund zur Welt gekommenes, aber durch den Ablauf der Geburt, etwa wegen eines erhöhten Infektionsrisikos bei Kaiserschnitt erkennbar gefährdetes Kind, darf nicht für einen Zeitraum von 1 Stunde ohne ärztliche Betreuung bleiben.
Die unterlassene Hinzuziehung eines kompetenten Arztes nach Hinweisen auf die gestörte Atmung eines Neugeborenen und/oder der verspätete Transport des Kindes in die Kinderklinik ohne ärztliche Betreuung und Beatmung sind sogar grob fehlerhaft. Erleidet das Neugeborene aufgrund dieser mangelnden
Überwachung einen Gesundheitsschaden (Hirnschaden durch mangelnde Sauerstoffversorgung) haftet der Klinikträger.
Er hat ein angemessenes Schmerzensgeld für die lebenslängliche Beeinträchtigung des Neugeborenen sowie Schadenersatz für den entstandenen Gesundheitsschaden zu zahlen.
Eine unzureichende Überwachung des Geburtsfortschritts führt in der Praxis oft zur Arzthaftung. So ist eine extreme – über 1 Stunde andauernde – Überbeatmung eines asphyktischen Neugeborenen, die zu einer hypoxisch– ischämischen Enzephalopathie (Hirnschädigung, die als Folge eines massiven Sauerstoffmangel im Gehirn entsteht) sorgfaltswidrig und stellt einen groben Behandlungsfehler dar.
Ein grobes ärztliches Fehlverhalten liegt auch dann vor, wenn das Pflegepersonal eines Krankenhauses bei einer mehreren Stunden nach der Geburt eingetretenen bläuliche Verfärbungen von Gesicht und Händen eines Neugeborenen nicht unverzüglich einen Arzt hinzuzieht und es durch die verzögerte Untersuchung und Einleitung einer geeigneten Therapie zu massiven Hirnschädigung kommt.
Eine Vielzahl der gerichtlichen Fälle befasst sich mit dem Geburtsschaden verursacht durch den Arzt oder die Hebamme bei dem Geburtsvorgang. Dieser tritt häufig im Zusammenhang mit dem Vorwurf der unterlassenen bzw. verspäteten Einleitung eines Kaiserschnittes (sectio) auf.
So stellt es einen „groben Behandlungsfehler“ dar, wenn der geburtsleitende Arzt auf ein pathologisches – CTG (Kardiotokografie), mittels dessen der Herzschlag des ungeborenen Kindes untersucht wird, nicht reagiert. Lässt das CTG eine das Kind gefährdende Sauerstoffmangel-Situation erkennen, muss die Geburt sofort eingeleitet werden.
Weisen Veränderungen im EKG sowie die vom Patienten geschilderte Beschwerdesymptomatik (enormer Druck in der Brust, „kann kaum eine Treppe hochsteigen“) auf die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Herzinfarkt hin, so stellt es einen groben Behandlungsfehler dar, wenn es der Arzt (Internist oder Facharzt für Allgemeinmedizin) unterlässt, den Patienten unverzüglich zu einer Herzkatheteruntersuchung in eine Klinik einzuweisen.
Ein Nachsorgefehler liegt vor, wenn der Arzt den Erfolg seiner Behandlung nicht absichert. Der Arzt muss also konkret darauf hinweisen, wie ein bestimmtes, verordnetes Medikament einzunehmen ist und welche Nebenwirkungen es haben kann.
Nach einer durchgeführten Operation muss dem Patienten mitgeteilt werden, welche Maßnahmen er zu beachten hat und wie er sich zur Sicherung des Behandlungserfolges zu verhalten hat.
Wann liegt ein haftungsrechtlich relevanter ärztlicher Aufklärungsfehler vor?
Der Arzt haftet auch für einen Aufklärungsfehler. Ein solcher liegt vor, wenn der Arzt den Patienten nicht über die mit einem bestimmten Eingriff verbundenen spezifischen Risiken im Großen und Ganzen oder über Behandlungsalternativen aufgeklärt hat.
Dabei genügt in keinem Falle das Ausfüllen eines üblichen Aufklärungsformulars, z.B. vor einer Operation. Die Aufklärung muss im Arzt–Patienten-Gespräch erfolgen. Der Patient muss die Möglichkeit der Nachfrage haben.
Nur ein „aufgeklärter“ Patient kann wirksam in den von dem Arzt vorgeschlagenen Eingriff einwilligen. Denn Sie allein entscheiden, was mit Ihnen passiert.
Damit Sie dies verantwortlich tun können, ist es erforderlich, dass Sie umfassend aufgeklärt werden. Ihr Arzt muss Sie über die Behandlung ausführlich aufklären und beraten, und zwar vor, während und nach der Behandlung. Der Patient muss rechtzeitig wissen, was medizinisch mit ihm, mit welchen Mitteln und mit welchen Risiken und Folgen geschehen soll.
Denn jeder ärztliche Eingriff erfüllt nach dem Strafgesetzbuch den Tatbestand einer Körperverletzung. Danach würde der behandelnde Arzt sich beständig strafbar machen. Jedoch entfällt diese Strafbarkeit, wenn der Patient mit der Behandlung einverstanden ist, d. h. wirksam einwilligt.
Für diese wirksame Einwilligung ist es aber zwingend notwendig, dass der Patient vollumfänglich über die Behandlung und deren Risiken aufgeklärt wurde. Denn nur der informierte Patient kann wirksam einwilligen. Jeder Patient hat das Recht selbst zu bestimmen, ob und wie er sich behandeln lassen möchte. Man spricht vom Selbstbestimmungsrecht des informierten Patienten.
Wer muss aufklären und wer aufgeklärt werden?
Die Aufklärung des Patienten ist allein Aufgabe des Arztes.
In keinem Falle kann der Arzt diese Aufklärung auf sein Personal delegieren. Aufgeklärt werden muss in der Regel der Patient. Dieser muss jedoch in der Lage sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite der beabsichtigen ärztlichen Maßnahme erfassen zu können.
Der Patient muss also einsichtsfähig und einwilligungsfähig sein. Voraussetzung dafür ist, dass der Patient versteht, was der Arzt ihm sagt und dass er daraufhin persönlich für sich selbst entscheiden kann. Für nicht einwilligungsfähige Menschen muss ein Dritter entscheiden. Das dürfen aber nur bestimmte Personen.
Beispiele hierfür:
Minderjährige Kinder können grundsätzlich nicht selbst einwilligen. Für Kinder bis 13 Jahre entscheiden die Eltern. Bei Jugendlichen gibt es keine starren Regeln. Ein Jugendlicher kann ab 14 Jahren einwilligungsfähig sein.
Der Arzt muss beurteilen, ob er weit genug entwickelt ist, um allein für sich zu entscheiden. Vor einem Eingriff bei einem Jugendlichen verlangen die Ärzte meistens, dass auch die Eltern einwilligen.
Patienten ab 18 Jahren, die die Aufklärung nicht verstehen, weil sie auf ihre ganz eigene Weise denken und fühlen. Gemeint sind Menschen, die geistig oder seelisch krank oder „behindert“ sind. Für sie entscheidet ein vom Gericht eingesetzter Betreuer oder eine Person, dem eine sogenannte Vorsorge- oder Betreuervollmacht vor der Erkrankung erteilt wurde.
Patienten ab 18 Jahren, die nicht mehr selbst entscheiden können aufgrund ihrer Erkrankung oder weil sie bewusstlos sind. Im dringenden Notfall, wenn Eltern, Betreuer oder Bevollmächtigte des nicht einwilligungsfähigen Patienten nicht zu erreichen sind, entscheiden die Ärzte selbst.
Sie dürfen aber nur so entscheiden, wie es der Patient vermutlich selbst will. Müssen also den „mutmaßlichen“ Patientenwillen ermitteln.
Der Zeitpunkt und die Form der ärztlichen Aufklärung
Der Arzt muss den Patienten vor jeder diagnostischen und/oder therapeutischen Maßnahme aufklären, weil das Selbstbestimmungsrecht des Patienten grundsätzlich Vorrang vor der ärztlichen Hilfeleistungspflicht hat und deshalb jeder Patient vor jeder ärztlichen Maßnahme einwilligen muss.
Dem Patienten muss also genug Zeit bleiben, um in Ruhe überlegen zu können, um sich persönlich entscheiden zu können. Deshalb muss der Arzt rechtzeitig aufklären. Je schwerer eine Operation oder Behandlung ist desto früher, bei Operationen jedoch mindestens einen Tag vorher.
Soweit jedoch sofortiges ärztliches Handeln erforderlich ist, um Schaden vom Patienten abzuwenden, kann im Notfall auf eine solche Aufklärung verzichtet werden. Der Arzt muss dem Patienten in einem persönlichen Gespräch aufklären.
In keinem Falle ist es ausreichend, dass der übliche Aufklärungsbogen vergeben und vom Patienten unterschrieben wird. Dies entbindet den Arzt nicht von der Durchführung eines Aufklärungsgespräches, in dem der Patient auch die Möglichkeit hat Fragen zu stellen.
Inhalt und Umfang der Aufklärung:
Der Arzt hat seinen Patienten aufzuklären über die Diagnose, den Verlauf, über Risiken und über andere alternative Behandlungsmöglichkeiten. Auch die Diagnose einer schweren Erkrankung ist grundsätzlich vom Arzt mitzuteilen, auch wenn er weiß, dass dies seinen Patienten beängstigen wird.
Denn der Patient hat ein Recht darauf zu erfahren, wie seine Erkrankung weiter verlaufen wird. Die Aufklärung über den Verlauf bedeutet, dass dem Patienten deutlich gemacht wird, wie seine Erkrankung wahrscheinlich weiter mit Behandlung und ohne Behandlung weiter verläuft. Der Arzt muss seinem Patienten alles sagen, was bei der Behandlung typischerweise an Folgen auftreten kann, egal, ob sich das Risiko ganz selten oder häufig verwirklicht. Selbst über schwerwiegende Arzneimittelnebenwirkungen ist aufzuklären.
Der Verweis auf die Gebrauchsinformation des Pharmaherstellers ist nicht ausreichend. Auch muss der Arzt darüber beraten, wenn andere, alternative Behandlungen in Frage kommen. Er muss seinem Patienten andere Methoden nennen, die für die Behandlung auch geeignet, üblich und anerkannt sind, die aber andere Risiken und Erfolgschancen als die vorgeschlagene Behandlung haben.
Rechtsfolgen fehlerhafter Aufklärungen:
Klärt der Arzt den Patienten nicht, falsch oder unzureichend auf, fehlt es an einer wirksamen Einwilligung in den Körpereingriff, sodass der Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung erfüllt ist. Darüber hinaus stellt die Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht eine Verletzung des Behandlungsvertrages dar, welcher regelmäßig zwischen Arzt und Patient besteht.
Kann der Arzt nicht beweisen, dass der Patient sich auch bei zutreffender Aufklärung zu dem Eingriff entschieden hätte, muss das Krankenhaus oder der jeweilige Arzt Schadenersatz und Schmerzensgeld leisten.
Wann liegt ein Organisationsfehler vor / Definition?
Darüber hinaus haftet z. B. ein Krankenhaus auch für einen sogenannten Organisationsfehler. Dies bedeutet, dass der verantwortliche Krankenhausträger die ärztliche Leitung und die Pflegedienstleistungen so organisiert haben muss, dass der Patient hierdurch keinen Schaden erleiden kann.
So hat der Krankenhausträger z. B. dafür zu sorgen, dass alle Mitarbeiter die Regeln für Sauberkeit und Hygiene einhalten, dass ein einsatzfähiges Operationsteam vorgehalten wird und dass frisch operierte Patienten durch qualifiziertes Pflegepersonal postoperativ überwacht werden.
Wie kann ein ärztlicher Fehler nachgewiesen und Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeldansprüche durchgesetzt werden?
Besitzt der Patient eine Rechtsschutzversicherung, ist eine Beratung, die außergerichtliche Vertretung und auch eine spätere Prozessvertretung in einem Arzthaftungsprozess bei einem Rechtsanwalt in fast allen Fällen abgedeckt.
Wir kümmern uns für Sie um die Einholung der Deckungszusage bei Ihrer Rechtsschutzversicherung.
Zudem besteht die Möglichkeit, über die jeweilige Krankenkasse Rat einzuholen und diese aufzufordern, über deren Medizinischen Dienst der Krankenkasse ein fachärztliches Gutachten zur Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliegt oder nicht, einzuholen. Auch kann bei der jeweiligen Landesärztekammer ein sogenanntes Schlichtungsverfahren durchgeführt werden.
Kann letztlich nachgewiesen werden, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dass dem Patienten dadurch ein Schaden entstanden ist, kann gegen den handelnden Arzt bzw. Krankenhausträger Schadensersatz und Schmerzensgeld, zunächst außer- gerichtlich und soweit keine Einigung erzielt wird, gerichtlich geltend gemacht werden.